Statement einer anwesenden Person zum Amoklauf in Würzburg

Am Montag den 18.07. saß ich in der Regionalbahn, in der Riaz Khan Ahmadzai Mitreisende mit einem Beil angriff. Es war schrecklich. Für alle, die davon traumatisiert wurden, am meisten denke ich an die Verletzten und an alle Mitreisende und Ersthelfer_innen, die nun mit den Bildern leben müssen, aber auch an alle, die sich sonst noch von dem Amoklauf betroffen fühlen.

An diejenigen, deren Welt- und Menschenbild erschüttert wurde, weil sie den Vorfall nicht begreifen können. Nicht-begreifen macht Angst. Nicht-begreifen schränkt ein, in der Sicherheit, auf die Straße zu gehen, in Züge einzusteigen und öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Nicht-begreifen macht unfrei, dem eigenen Urteil zu vertrauen und bereitet den Weg für jene, die sich die allgemeine Verunsicherung zu nutze machen, die aktuellen Geschehnisse für sich zu instrumentalisieren. Und damit noch mehr Angst erzeugen.

Rechts-Populist_innen sehen ihre Stunde gekommen um offen ihre rassistischen Forderungen unter die Leute zu bringen. Damit kippen sie nicht nur Öl ins Feuer gewaltbereiter Arschlöcher, sondern treffen auch auf offene Ohren derer, die sich den aktuellen Geschehnissen gegenüber ohnmächtig fühlen.

Ohnmacht ist kein aushaltbarer Zustand. Denn erlebte Ohnmacht scheint vieles vorher Undenkbare zu legitimieren. Das birgt reale Gefahren für die von Rassismus negativ Betroffenen, die in Deutschland leben, neu ankommen oder sich auf dem Weg hier her befinden. Ohnmacht wird meist kompensiert durch Handlungsmacht über dritte:

Eine Strategie ist zum Beispiel, nach Gesetzen zu schreien, an den Fäden der ohnehin schon Brutalen Abschiebe-Praxis zu ziehen. Auf das sie noch Schneller, noch ungesicherter Einzelpersonen und Familien ins ungewisse „irgendwo-anders“ schickt.

Es werden Gesetze gefordert, in denen die Bundeswehr und die Polizei noch unmittelbarer zusammen arbeiten soll. Warum? Weil Soldaten noch bessere Mörder sind als Bullen? Es soll mehr Präsenz des Sicherheitspersonals in der Deutschen Bahn geben, mehr Kontrollen durch Polizist_innen, die sich durch die Gepäckstücke und Hosentaschen der Menschen wühlen. Gemeint sind jene, die ins Racial-Profiling Raster passen.

Es sind Gesetze, die beschwichtigend auf die weißen Inhaber_Innen deutscher Pässe wirken sollen.

Aber: Sie werden nichts verhindern. Sie können nichts ungeschehen machen.

So wird Macht gezeigt, wo es keine gibt, sondern nur noch mehr Leid geschaffen, durch Zwang und Grausamkeiten, die sich gegen eine eh schon diskriminierte Gruppe richten, als legitim verstanden werden.

Die erste Welle der Bericht-Erstattung lief mir unglaublich zuwider. Denn sie war von Anfang an politisch einseitig überladen. In dem Moment, als jemand im Zug rief: „Da läuft jemand mit der Axt durch“, entstand in meinem Kopf zuerst das Bild eines lebens-verachtenden, verzweifelten Menschen. Für mich bleibt es ein Amoklauf, bzw. erweiterter Suizid. Ich weiß, aus meiner eigenen Erfahrung, wie sich Traumata anfühlen und kann mir doch nicht vorstellen, welches Schicksal, welches Leid von vielen getragen wird, die von ihrem zu Hause fliehen mussten. Die Entscheidung, mit Suizid sein Leben und damit das Leid zu beenden, ist kein fremdes Thema. Das Leid, das noch verschärft wird, durch die Angst vor Abschiebung, rassistischen Übergriffen und das Unsichtbar-machen von Geflüchteten, die keinen Raum im öffentlichen Diskurs haben, um über diese Themen zu sprechen. Es bleibt nur das Schweigen. Wie der Selbstmord von Mohammad R. in Würzburg 2012 deutlich zeigte. Wir vergessen nicht.

Der mediale Tenor von Terror. Anschlag und IS. Zeigte er was gehört werden will? Die diskriminierende Angst vor dem, was als anders, als fremd markiert wird? Sich lieber an Stigmata zu orientieren, die NICHTS erklären, anstatt wirklich begreifen zu wollen?

Die Bereitschaft zur Tötung und das Verletzen anderer Personen ist letztendlich immer Kern der individuellen Psyche, auch wenn diese sich bestärkt fühlt durch Äußere Einflüsse, wie Ideologie, Religiösem Fundamentalismus oder schlicht Legitimation durch den Staat.

Terrorismus ist kein International, einheitlich definierte Begriff.

IS-Terror ist für mich jede Bombe die auf Rojava fällt. Und ich erkläre mich solidarisch mit allen Menschen, die dort kämpfen.

Bei allem, was mit aller Macht gefordert wird, entsteht mehr Ohnmacht. Vorratsdaten-Speicherung, Kontrollen, Einreiseverweigerungen, Polizei-Schikanen, Öffentliche Überwachung.

Und es ist widerwärtig, wie das Schicksal von der Familie im Zug und uns anderen, die wir drin saßen instrumentalisiert wird, sowohl von Rechts-Populist_innen, als auch vom Staat. Gegen die Ohnmacht.

Denn Macht kann auch heißen Selbst-Ermächtigung und Handeln Selber-machen. Und das heißt konkret, dass wir uns nicht beirren lassen, in unseren Kämpfen gegen Staaten, Nationen und ihre Grenzen.

Dann gibt es keinen Grund, sich noch mit der eigenen Ohnmacht zu identifizieren, wenn wir selbst doch leben, heißt stark sind für einander und gegen Faschismus, gegen Menschenfeindlichkeit und gegen Repression eintreten können.

Sollen Rechtspopulist_innen doch zu Hause bleiben, wenn sie so viel Angst haben, vor die Tür zu gehen.

Ich habe keine Angst.